Mitgliederwerbung

"Drum prüfe, wer sich ewig bindet, …"

Zur Zeit der Anhandgabe im Mai 1993 bestand die Gruppe aus 4 Personen, der Initiativgruppe, die sich unverzüglich daran machte, die für die Realisierung notwendigen Mitglieder zu werben. Zu den allmonatlichen Informationsabenden der WGJA, die in einem Restaurant in Eimsbüttel stattfanden, kamen InteressentInnen, die zumeist durch Mundpropaganda oder Veröffentlichungen in der Presse von dem Projekt gehört hatten. 

An einem Abend kamen nur fünf, am anderen dreißig oder mehr. Die einen blieben schon beim nächsten Treffen weg, die anderen kamen wieder und wollten Einzelheiten erfahren, und mit diesen traten wir in einen Prozess des Austausches von Informationen ein, des Kennenlernens: 

“Wer bist Du? Was tust Du? Warum willst Du bei uns mitmachen? Kannst Du mithelfen? Entsprichst Du den von außen vorgegebenen Bedingungen? Kannst Du das notwendige Geld beschaffen?“

Fragen über Fragen von beiden Seiten

 

Anfangs, in den ersten Monaten dieses Gruppenbildungsprozesses, lief das relativ unkompliziert ab: Irgendjemand, eine Einzelperson oder ein Paar oder eine Familie, erklärt uns nach einigen wenigen Treffen, mitmachen zu wollen. Wir freuen uns: Wieder eine mehr! Diese Person, dieses Paar, diese Familie nimmt nun an der Planung teil, wir schließen sie in die Gruppe ein und auch in unsere Herzen. 

„Du willst mitmachen? Toll! Wir freuen uns! Wo willst Du wohnen? Südhaus zweiter Stock links ist noch eine Wohnung frei. Passt ja wunderbar!“Besagte Person kommt mit zu den Treffen bei der Architektin, kann mitentscheiden und ihre Wünsche äußern. Der Grundriss der gewünschten Wohnung wird entsprechend ihren speziellen Bedürfnissen abgeändert, es werden neue Zeichnungen angefertigt, die Architektin berechnet zusätzliche Arbeitszeit. Zwei Sitzungen später müssen wir hören, dass aus der Mitarbeit leider doch nichts werden kann, weil sich die Lebensplanung geändert habe oder das notwendige Kapital (immerhin DM 700.-/m2) nicht zu beschaffen sei.

Für uns ein doppelter Rückschlag: Die Gruppe verkleinerte sich wieder. Ebenso schwer wog die Enttäuschung darüber, dass uns jemand verließ, den wir schon in unsere Herzen geschlossen hatten. Das Architekturbüro hatte die Pläne geändert, wodurch zusätzliche Kosten entstanden.

Irgendwann verkünden mehrere Familien zugleich, sich von uns wieder trennen zu müssen. Die Gruppe schmilzt auf einen Schlag auf die Hälfte zusammen, Panikstimmung kommt auf. Was passiert, wenn wir die notwendige Zahl der Mitglieder nun nicht rechtzeitig zusammen bekommen? Sollen wir eines von den drei geplanten Häusern an eine ander Projektgruppe abgeben?

Erfolge durch Hürden

Wir beschließen, gegen diese Rückschläge eine Hürde aufzubauen. Von nun an sollen alle Personen, die sich am Projekt beteiligen wollen, ein Eintrittsgeld von DM 1000.- bezahlen, bevor sie irgendwelche Forderungen stellen oder sich an Entscheidungen beteiligen können. Treten sie dennoch zurück, verbleibt dieses Eintrittsgeld im Projekt. Die entstandenen Kosten sind gedeckt, und es bleibt der Gruppe ein kleines Schmerzensgeld.

Der Erfolg stellte sich umgehend ein: Keine Rücktritte mehr! Trotz der aufgebauten Hürde hatten wir genug Zulauf. Als gegen Ende der Frist von 18 Monaten die meisten Wohnungen belegt waren, änderten wir das Auswahlverfahren. Die Angst, nicht genug Leute zu finden, die sich an dem Projekt beteiligten, schwand. Gleichzeitig wurde sich die Gruppe der Verantwortung bewusst, die sie in ihrer Rolle der Vermieterin von öffentlich gefördertemWohnraum trug. Es geschah, dass sich zwei oder mehr ’Neue’ für die gleiche Wohnung interessierten. Wir mussten uns entscheiden. Jede InteressentIn wurde gesondert eingeladen, konnte Fragen stellen, musste Fragen beantworten, bekam eine Kontaktperson zugeordnet. Erst nach Kenntnis aller BewerberInnen wurde auf einer Folgesitzung abgestimmt, und die InteressentIn, die die meisten Stimmen auf sich vereinen konnte, war gewählt. Die Auserwählte erklärte ihren Beitritt, unterschrieb die Beitrittserklärung, und nahm forthin als vollberechtigtes Mitglied an den Gruppensitzungen teil, war an den Entscheidungsprozessen beteiligt, stimmte also auch über die nachfolgenden ’Neuen’ mit ab.

Gegen Mitte des Jahres 1995 war die Gruppe weitgehend vollständig, die erste Hürde war genommen. Andere Projekte in Hamburg, die sich in diesen Jahren bildeten, brauchten mehr als die doppelte Zeit, ihre Leute zusammen zu bekommen.

Eignung fürs Wohnprojekt

Natürlich ist die Befragung von InteressentInnen allein nicht ausreichend, deren Eignung für ein Projekt wie das Unsrige festzustellen. Gelingt es der einen Person, sich besser darzustellen als eine andere, ist sie der Gruppe sympathischer, wird sie mehr Stimmen bekommen als die andere, die vielleicht besser geeignet gewesen wäre.

Diese Erfahrung blieb uns nicht erspart. Ein Teil der Gruppe fiel auf die gelungene Selbstdarstellung eines Interessenten regelrecht herein. Dieser bekam die Wohnung, zog ein, wohnte einige Zeit bei uns, nicht mit uns.

In einem Mietshaus fällt so ein Mieter vielleicht gar nicht auf. In unserem Projekt, das von der Kommunikation und den Kontakten der Mieter untereinander abhängig ist, wo wir miteinander leben und arbeiten, ist dies schwer zu ertragen, bedeutet das eine Belastung für das Projekt, das auf die Mitarbeit jedes Mitgliedes angewiesen ist. Man wird versuchen, eine falsche Entscheidung zu revidieren. Man wird versuchen, diese Person wieder loszuwerden. Wenn das nicht gelingt, wohnt sie im ungünstigsten Fall bei uns bis ans Ende ihrer Tage. Nach dem bei uns geltenden Mietrecht kann die Projektgruppe, die Genossenschaft, die als Vermieterin auftritt, einen Mieter nicht wieder loswerden, es sei denn, er hat in schwerer Weise gegen die Regeln des Mietvertrages oder unserer Satzung verstoßen.  

Letztlich merkt man vielleicht am besten bei der gemeinsamen Arbeit, ob jemand in das Projekt passt und sich für seinen Fortbestand einsetzt. Und eine BewerberIn weiß auch erst nach einer gewissen Zeit der Zusammenarbeit, ob diese Gruppe und diese Leute die richtigen für sie sind. Selbst die richtige Entscheidung für die richtigen Leute ist keine Garantie für alle Zukunft. Die Zeit ändert sich, die Menschen ändern sich, ihre Interessen ändern sich, und es bleibt nichts so, wie es war.

Vergleicht man den zuvor beschriebenen Ablauf der Mitgliederwerbung bei uns mit der anderer Projekte, fällt mindestens ein Unterschied auf:  Bei anderen Projekten, die uns bekannt sind, gab es anfangs ein paar Leute und eine Idee. Sie begannen, andere für diese Idee zu begeistern. Erst wenn die Gruppe weitgehend vollständig war, alle wichtigen Fragen des Zusammenlebens besprochen und viel Zeit für das Kennenlernen aufgewandt worden war, tat man sich mit einer ArchitektIn zusammen und besorgte sich das notwendige Grundstück oder ein Bauwerk.

Anders bei uns

Hier gab es anfangs nur eine kleine Gruppe von Leuten, die Initiativgruppe, die Architektin und ein Grundstück. Parallel zu der Arbeit der Architektin suchten wir die MitstreiterIinnen. Die Zeit war knapp, wir wurden getrieben von den Terminen und anfangs auch von der Sorge, die geplanten Wohnungen nicht rechtzeitig besetzen zu können. Trotzdem mussten wir immer versuchen zu erkunden, ob die jeweiligen ’Neuen’ wegen der Projektidee zu uns kamen oder nur wegen des Wunsches nach einer attraktiven Wohnung. Die Phase des Kennenlernens überschnitt sich mit der Bauphase, und so gab es noch, als die Häuser schon im Rohbau standen, Wechsel in der Besetzung.  Wir sind nicht davon überzeugt, dass die eine oder die andere Vorgehensweise die richtige ist. Wir sind uns auch darüber im klaren, dass eine Entscheidung für das Wohnen in einem Projekt nicht eine Entscheidung für ewig sein muss. Die Lebensumstände können sich ändern, und ein Wechsel kann sich als notwendig und richtig erweisen. Dies bedeutet nicht, dass die zuvor gefällte Entscheidung falsch gewesen sein musste.